Eltern · Familiäre Hypercholesterinämie

Medizinischer Hintergrund

Familiäre Hypercholesterinämie (FH) – Was ist das?
Die „Familiäre Hypercholesterinämie“ ist eine Fettstoffwechselstörung. In diesem etwas umständlich klingenden Begriff steckt bereits die Erklärung zur Erkrankung:

Familiärbedeutet: von einem oder beiden Elternteilen vererbt.
Hyperdrückt aus: „zu hoch“.
Cholesterinist ein Fett (Lipid) und ein Naturstoff des menschlichen Körpers. Hier ist der Anteil des LDL-Cholesterins im Blutplasma gemeint.
Ämiebezeichnet: das Vorkommen im Blut.

FAMILIÄRE HYPERCHOLESTERINÄMIE

bedeutet also ein von den Eltern vererbtes „zu viel“ an LDL-Cholesterin im Blut.

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Die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) zählt zu den Formen der primären Hypercholesterinämie, das heißt, sie wird durch einen Gendefekt ausgelöst. Im Gegensatz dazu gibt es die sekundäre Hypercholesterinämie. Sie beschreibt ebenfalls einen zu hohen Cholesterinspiegel im Blut (Gesamtcholesterin oder LDL-Cholesterin), welcher jedoch nicht erblich bedingt ist. Er ist auf andere Erkrankungen zurückzuführen (z. B. Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“), chronische Niereninsuffizienz) oder entsteht durch einen ungesunden Lebensstil (z. B. mangelnde Bewegung, unausgewogene Ernährung, Rauchen, Übergewicht). Eine weitere Ursache kann auch die Einnahme bestimmter Medikamente sein

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Stammbaum – Wer ist von FH betroffen?
FH wird entweder von einem Elternteil (= „heterozygot“) oder von beiden Elternteilen (= „homozygot“) vererbt. Wenn Ihr Kind an FH erkrankt ist, sind also möglicherweise auch Sie von FH betroffen. Dann stellt sich die Frage: Von wem haben Sie FH geerbt? Und von wem hat Ihr Kind die FH geerbt? Versuchen Sie zusammen mit Ihrem Kind den Stammbaum auszufüllen und so ein genaueres Verständnis für die Vererbung zu bekommen.

Wie häufig kommt FH vor?
In Deutschland gibt es keine systematische Datenerhebung zum Lipidstoffwechsel. Es kann nur geschätzt werden, dass ca. 162.000 bis 400.000 Menschen von FH betroffen sind. Weltweit sind es ca. 14 bis 34 Millionen.
Die „heterozygote“ Form hat eine Prävalenz von 1:250. Das heißt: innerhalb der Bevölkerung erkrankt 1 von 250 Personen (0,4 %) an FH. Die „homozygote“ Form – bei welcher beide Elternteile die Fettstoffwechselstörung vererben – kommt wesentlich seltener vor, nämlich nur bei nur einer Person von 100.000.

Gut zu wissen: Was ist eigentlich der menschliche Stoffwechsel?
Stoffwechsel bedeutet so viel wie Austausch von Stoffen. Im weiteren Sinne heißt das: Stoffe, die wir über die Nahrung aufnehmen, werden durch die Darmwand in den Körper transportiert und vor allem von der Leber „verarbeitet“. Von dort aus werden Zucker, Fette und Eiweiße (aber auch andere Stoffe, wie z. B. Vitamine) im Körper verteilt: das Blut transportiert sie an die benötigten Stellen im Körper. Fette beispielsweise dienen dem Körper als Energieträger und -speicher. Eine Stoffwechselstörung bedeutet entweder, dass Nährstoffe vom Körper nicht abgebaut werden können oder aber nicht an den Orten ankommen, an denen sie benötigt werden.

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Was ist Cholesterin?
Cholesterin ist ein fettähnlicher Stoff, der im Blut zirkuliert und vom Körper benötigt wird, um Zellen aufzubauen, Hormone zu produzieren und Gallensäure in der Leber zu erzeugen. Es kann sowohl vom Körper selbst produziert werden (von allen Organen, vor allem der Leber), als auch durch die Nahrung in Form von Fetten aufgenommen werden. Cholesterin besteht aus 2 Derivaten (d. h. „Abkömmlingen“): dem High Density Lipoprotein (HDL) und dem Low Density Lipoprotein (LDL). Lipoproteine wiederum sind kleine Pakete aus Cholesterin, Triglyceriden und Proteinen, die als Transportmittel für Fette im Blut dienen. So bringt LDL Cholesterin zu den Zellen, kann also als eine Art „Lieferservice“ betrachtet werden. Die Kinder lernen es als „Lass Das Lieber“-Cholesterin kennen, da es als die „ungesunde“ Form des Cholesterins gilt. HDL dagegen sammelt Cholesterin im Körper ein und bringt es zur Leber, wo es abgebaut wird. Es ist sozusagen die „Müllabfuhr“. Durch den Abtransport von Stoffen wird es als „gutes“ Cholesterin angesehen und gegenüber den Kindern als „Hab Dich Lieb“-Cholesterin bezeichnet. Neben HDL und LDL als Cholesterinderivate zählen außerdem noch Triglyzeride zu den Blutfetten. Sie dienen vor allem der Speicherung von Fett im Körper, um bei länger andauernder körperlicher Leistung Energie zu liefern.

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Wie sind die Richtwerte für Cholesterin bei Kindern und Jugendlichen?

Nach den aktuellen Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Stoffwechselstörungen (Chourdakis, 2016) gelten bei Kindern und Jugendlichen LDL-Cholesterinwerte bis 110 mg/dl als noch akzeptabel, ab 130 mg/dl als erhöht. Bei HDL-Cholesterin wird eine Konzentration über 45mg/dl bei Kindern und Jugendlichen angestrebt.

MERKE
Zu hohe HDL-Werte gibt es in diesem Sinne nicht,

da viel HDL-Cholesterin vor fetthaltigen Ablagerungen an den Gefäßwänden schützt.

DIE „ARTHEROSKLEROSE

Zusatz: Die Richtwerte bei Erwachsenen

Die aktuell geltenden Richtlinien zu Blutfettwerten finden sich unter anderem bei der European Society of Cardiology (Mach et al., 2020). Hier kann ein Risiko Score errechnet werden, der das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung abschätzt. LDL-Cholesterin sollte bei Erwachsenen unter 116 mg/dl (3 mmol/l) liegen, HDL-Cholesterin bei Frauen über 45 mg/dl (1,2 mmol/l) und bei Männern über 40 mg/dl (1 mmol/l). Diese Richtwerte gelten jedoch nur, wenn zusätzlich kein anderer Risikofaktor besteht – wie z. B. höheres Alter, männliches Geschlecht, Rauchen sowie das Vorliegen von Diabetes mellitus oder einer genetischen Belastung (z. B. FH). Bei erwachsenen Personen mit FH liegt der angestrebte Zielwert für LDL- Cholesterin bei unter 70 mg/dl.

 

Diese Richtwerte gelten nicht als Therapiezielwerte für Patienten mit bereits manifesten Gefäßerkrankungen (Artherosklerose). Hier gelten wesentlich niedrigere Grenzwerte für LDL-Cholesterin.

Stoffwechselstörung bei FH – Was passiert genau?

Bei FH haben die Betroffenen eine Veränderung („Mutation“) in ihrer Erbinformation (DNA), weshalb die FH vererbt werden kann. Die meisten Mutationen betreffen den LDL-Rezeptor. Dieser bringt das LDL-Cholesterin normalerweise aus der Blutbahn in die Zelle. Weiterhin sind auch Mutationen im ApoB100 (Lipoprotein) oder PCSK9 (Enzym) möglich.

 

Eine Veränderung in einem dieser drei Gene (LDL-Rezeptor, ApoB100, PCSK9) führt dazu, dass LDL-Cholesterin nicht ausreichend abgebaut werden kann. Somit reichert es sich im Blut an und der FH-Patient hat einen erhöhten LDL-Cholesterinspiegel.

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Langfristige Folgen von FH: Atherosklerose

„Gutes“ Cholesterin (HDL) wird in der Leber wieder abgebaut. „Schlechtes“ Cholesterin (LDL) hingegen kann sich an den Gefäßwänden festsetzen und so zu Gefäßverengungen und einem schlechteren Blutfluss führen (= Atherosklerose).

 

Damit LDL-Cholesterin vom Blut in die Zelle transportiert werden kann, braucht es einen Transporter. Das Problem bei FH ist, dass die 3 Transportsysteme (LDL-Rezeptor, ApoB100 und PCSK9) nicht richtig funktionieren. Deshalb wird das LDL-Cholesterin aus dem Blut nicht „abgeholt“ und in die Zelle gebracht – sondern verbleibt in den Blutgefäßen. Zunächst entstehen dadurch die beschriebene Atherosklerose und in der Folge dann weitere kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. KHK = Koronare Herzkrankheit). Diese können wiederum zu einem Schlaganfall oder Herzinfarkt führen. Glücklicherweise kann man die FH gut behandeln, so dass es nicht zu diesen Folgen kommen muss. Die Abbildung zeigt, wie der Transport von LDL und HDL normalerweise funktioniert.

 

VIDEO-TIPP

Herz-Kreislauf Erkrankungen (1:42 Minuten)

Was führt zu einem schnelleren Fortschreiten der Erkrankung?

Neben der FH gibt es verschiedene weitere Einflussfaktoren, welche eine Atherosklerose begünstigen. Zu diesen Risikofaktoren zählen:

 

  • erhöhte Lipoprotein A (Lp(a)) Werte
  • ungesunde Essgewohnheiten
  • fehlende körperliche Aktivität
  • Adipositas (Fettleibigkeit)
  • Rauchen (auch Passivrauchen!)
  • Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“)
  • Hypertonus (Bluthochdruck)
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Wie kann LDL-Cholesterin gesenkt werden?
Ziel der FH- Therapie ist es, das LDL-Cholesterin im Blut zu senken. Dazu bedarf es zwei grundlegender Schritte: Ernährungsumstellung und medikamentöse Therapie (genaueres im Schaubild oben).

Wie sieht die medikamentöse Therapie bei FH aus?
Ziel der medikamentösen Therapie von FH bei Kindern ist, den LDL-Cholesterinspiegel im Blut auf unter 130mg/dl zu senken. Die Therapie bezieht immer eine Vielzahl an Faktoren mit ein und richtet sich nach dem geltenden Expertenkonsens (Chourdakis, 2016). Bei der medikamentösen Therapie von FH muss deutlich unterschieden werden zwischen der Form der FH (heterozygot/homozygot) sowie möglicherweise vorliegenden weiteren Risikofaktoren (Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes).

 

Neben einer Lebensstilmodifikation wird bei der heterozygoten Form der FH meist auf sogenannte Statine zurückgegriffen. Diese hemmen ein Enzym, welches Cholesterin im Körper herstellt (die sogenannte HMG-CoA-Reduktase). Durch die Blockade des Enzyms wird in der Zelle ein Cholesterinmangel erzeugt, wodurch die Zelle mehr LDL-Cholesterin aus dem Blut aufnehmen muss. Hierdurch sinkt der LDL-Spiegel im Blut um bis zu maximal 50 % und das HDL-Cholesterin nimmt zu. Außerdem hemmen Statine Entzündungsprozesse in arteriosklerotischen Ablagerungen in den Gefäßwänden, sodass sich Ablagerungen nicht mehr so einfach bilden können. Ein bekanntes Präparat ist Pravastatin (ab 8 Jahren), welches zumeist sehr gut verträglich ist.

 

Mit sogenannten Cholesterinresorptionshemmern (Ezetimiben) wird die Aufnahme von Cholesterin aus dem Darm verhindert, wodurch die Leber mehr Cholesterin aus dem Blut aufnehmen muss. Dies verhindert wiederum die Ablagerung an den Gefäßwänden und senkt somit das Artheroskleroserisiko. Handelsname: Ezetrol, ab 10 Jahren.

Chourdakis, M. B., S; Dokoupil, K; Oberhoffer, R; Schwab, KO; Wolf, M; Zimmer, KP; Koletzko, B. (2016). S2k-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Hyperlipidämien bei Kindern und Jugendlichen. Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Stoffwechselstörungen (APS) in der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Berlin.
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